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11
Sep
2009

Traumatisiert am Hindukusch

Von Rüdiger Göbel

Heike Groos war als Oberstabsärztin der Bundeswehr viele Monate in Afghanistan, erstmals 2002. Beim ersten Einsatz kam sich die heute 49jährige Mutter zweier Kinder vor wie in einem Pfadfinderlager (»viel Sonne, schöne Landschaften, nette Kameraden, freundliche Einheimische«). Mittlerweile nennt sie die deutsche Militärpräsenz am Hindukusch »wahnsinnig«. Vor zwei Jahren verließ sie traumatisiert die Armee. Sie wollte nicht mehr mitmachen, nicht mehr zusehen, »wie junge Männer sinnlos sterben«. In dem »modernen Krieg« seien die Ärzte überflüssig. »Soldaten werden in die Luft gesprengt und sind sofort tot. Wir können sie nicht mehr zusammenflicken«, so Groos. Diese Hilflosigkeit sei einer der Gründe, warum so viele Ärzte die Bundeswehr verließen. Der Ärztemangel wiederum führe dazu, daß viele Mediziner gegen ihren Willen nach Afghanistan geschickt werden.

Groos beschreibt in ihrem Buch »Ein schöner Tag zum Sterben« die Realität, die Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) partout nicht »Krieg« nennen will. Nach einem Selbstmordanschlag auf einen Bus mit Bundeswehrsoldaten im Juni 2003 wird die Ärztin an den Unglücksort gerufen. Es herrscht Chaos. Sie muß die Opfer durchnumerieren, ihre Verletzungen notieren und dafür sorgen, daß sie erstversorgt und im Krankenwagen oder Hubschrauber abtransportiert werden. Mit ihrer Kollegin bleibt sie zurück bei den Toten, bis auch sie abgeholt werden. Eindringlich schildert Groos die Kriegsrealität: »Die Leichen hatten mit den Rettungsfahrzeugen nicht transportiert werden können und warteten jetzt auf einen Lastwagen mit Leichenbergesäcken. Ich wollte sie nicht allein lassen. Barbara, eine Notärztin, hatte mir angeboten, bei mir zu bleiben. (…) Wir hatten das Schlimmste erlebt. Wir hatten sie sterben gesehen, schreien gehört, ihre Wunden gefühlt, ihr Blut und ihren Angstschweiß gerochen. Jetzt saßen wir neben unseren toten Kameraden. Allein. Damit sie nicht allein waren. Nicht allein in ihrem Tod, der in unseren Augen so sinnlos war, so überflüssig. Und sie waren so jung. Alle drei jünger als wir beide. Fast fühlten wir uns schuldig, noch am Leben zu sein. (…) Als wir die Toten nebeneinander an den Straßenrand gelegt und ihre Kleidung ordentlich und glattgezogen hatten, so gut es eben ging, hatten wir vorschriftsmäßig die Hälfte der Erkennungsmarken abgebrochen. Jetzt wußten wir nicht, was wir damit machen sollten.«

Akribisch schildert Groos die folgende Leichenbergung, detailliert, wie es kein Kriegsbefürworter vermutlich lesen will: »Mittlerweile hatten wir zwei Stunden gewartet, es sollte eine weitere vergehen, bis er [der Lastwagen] eintraf. Zwei Feldwebel und ein Hauptgefreiter stiegen aus und legten die Leichen in die mitgebrachten schwarzen Säcke. Es gab ein scharfes Geräusch beim Zuziehen der langen Reisverschlüsse. Einer der Feldwebel und der Hauptgefreite kletterten auf die Ladefläche und zogen die Säcke hoch, die der dritte anreichte. Der erste Sack, dann der zweite. Schwarze Säcke, unten grau vom Staub der Straße, oben blutverschmiert. Beim zweiten Sack wurde der Hauptgefreite plötzlich blaß. ›Weißt du eigentlich, was wir hier tun, was in diesen Säcken drin ist?‹ fragte er den Feldwebel. ›Klar weiß ich es.‹ ›Wie kann man so etwas machen?‹, und er fing an zu zittern, atmete heftig, wurde noch bleicher. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Neunzehn Jahre war er alt. (…) Der zweite Feldwebel packte den dritten Sack am Kopfende wie die beiden anderen zuvor. Nur, da war kein Kopf, da waren nur Schultern. Er konnte es nicht wissen, aber der Kopf war durch die Explosion abgerissen worden. Entsetzt ließ er den Sack fallen. Mit einem häßlichen Klatschen landete er auf der Ladefläche. Es gab noch einen vierten Sack. Babsi und ich hatten darin die Leichenteile des Selbstmordattentäters eingepackt. Wir konnten ihn ja nicht einfach auf der Straße liegen lassen.« Zwei Wochen später wurde der Hauptgefreite nach Hause geschickt. »Das Aufklatschen des Sackes war wirklich ein häßliches Geräusch gewesen«, schreibt Groos beinahe lakonisch.

Die Ärztin wurde von den Bildern des Anschlags verfolgt. »Es gab bestimmte Auslöser, den Geruch von Brathähnchen zum Beispiel, die Soldaten waren ja alle verbrannt.« 2007 kehrte Groos der Bundeswehr den Rücken, wanderte mit ihrer Familie nach Neuseeland aus, erlitt einen Nervenzusammenbruch und schrieb ihre Erlebnisse auf. Ein Pflichtbuch für alle Befürworter und Verharmloser des Afghanistan-Krieges.

Heike Groos: Ein schöner Tag zum Sterben - Als Bundeswehrärztin in Afghanistan. Krüger Verlag, Frankfurt am Main 2009, 272 Seiten, 18,95 Euro


[Quelle: junge Welt vom 7.9.2009]
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