14
Sep
2009

Mehrheit im Bundestag für mehr Taliban

NATO räumt Tod »auch von Zivilisten« ein

Von Arnold Schölzel


Am 27. August veröffentlichte der Oberkommandierende der Internationalen Schutztruppe für Afghanistan (ISAF), US-General Stanley McChrystal, »Leitlinien zur Aufstandsbekämpfung«. Laut einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom Dienstag führt er darin aus, daß der Krieg in Afghanistan nicht mit konventionellem militärischen Denken gewonnen werden könne. Aus konventioneller Sicht stelle sich die Tötung von zwei Aufständischen in einer Gruppe von zehn so dar, daß acht Gegner übrig seien. In einem von Clans und Stämmen geprägten Umfeld wie Afghanistan hätten Getötete aber viele Verwandte, die Rache schwörten, erst recht im Fall von zivilen Opfern. Daher laute die Rechnung: »Zehn minus zwei ergibt 20 (oder mehr), und nicht acht.«

Der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, Oskar Lafontaine, bezog sich auf dieses Zitat, als er am Dienstag in der Debatte zu einer Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dieser vorwarf, sie habe »mehr Unheil angerichtet« als Frieden gestiftet. Die Behauptung, mit dem Krieg in Afghanistan werde der internationale Terrorismus bekämpft, sei aus der Sicht McChrystals offenbar »nicht rational«. Lafontaine verwies darauf, daß auch die deutschen Nachrichtendienste erneut erklärt haben, daß der Kampfeinsatz der Bundeswehr die Terrorgefahr in Deutschland selbst erhöht habe. Afghanistan beweise erneut, daß »Krieg kein Mittel der Politik ist«. Er forderte deswegen den Abzug der deutschen Truppen.

Er war der einzige Redner in den 90 Minuten, die das Parlament vor halb gefüllten Stuhlreihen dem Thema widmete, der diese Forderung auftstellte. Die Vertreter der anderen Parteien und die Kanzlerin rechtfertigten erneut den Krieg als »notwendig« (Merkel). Sie kündigte dennoch eine »Übergabestrategie« für die nächsten fünf Jahre an, die auf einer internationalen Konferenz noch 2009 festgelegt werden soll. Für Guido Westerwelle (FDP) ist der Krieg eine Vorsorge: »Unsere Aufgabe ist es zu verhindern, daß etwas passiert.« Fran-Walter Steinmeier (SPD) bezeichnete ihn als alternativlos: »Wir dürfen uns nicht vormachen, es gebe einen anderen Weg.« Jürgen Trittin (Die Grünen) war für schöneres Morden: »Ein sofortiger Abzug ist falsch, aber so weitermachen führt zu einem kopflosen Abzug.«

Da die Kernfrage – die Haltung zum Krieg – weitgehend an den Rand gedrängt wurde, herrschte geschäftsmäßiges parlamentarisches Geplänkel vor. Es stand unter der Devise, das Thema so wenig wie möglich in den Wahlkampf geraten zu lassen. Aus dem Phrasengewäsch stach das Statement von Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) durch besondere Inhaltslosigkeit hervor (der Luftschlag habe die »Bedrohungslage deutlich gemacht«, dabei hätten »wir« in Afghanistan doch »Erfolge umgesetzt... bis hin in der Frage der Informationsgesellschaft«). FDP-Chef Westerwelle steigerte sich allerdings zu einer Art Ersatzkaiser und bescheinigte Merkel, sie habe in ihrer Regierungserklärung »für Deutschland gesprochen«. Es gehe jetzt »nicht um Parteien, sondern um Deutschland«. Ihm eiferte vor allem Trittin nach, der nach acht Jahren grüner Zustimmung zum Krieg dekretierte, es könne »nicht darum gehen, Schuldige zu suchen«.

Die Debatte erhielt noch während der Übertragung einen passenden Kommentar: Als Merkel so wie alle anderen Vertreter der Kriegsparteien behauptete, eine Klärung des Vorfalls vom Freitag sei nicht möglich, erschien auf dem Nachrichtenlaufband des Senders Phönix die Meldung, daß die NATO offiziell eingestanden habe, es seien »auch Zivilisten« ums Leben gekommen. Unter der Überschrift »ISAF-Regeln offenbar nicht eingehalten«, hatte die FAZ auf Seite eins ihrer Dienstagausgabe außerdem berichtet, daß ein entsprechender »vorläufiger Bericht des ISAF-Hauptquartiers« Berlin seit Sonntag abend vorliege. Jung blieb standfest und log erneut, der Luftschlag sei militärisch gerechtfertigt gewesen.

[Quelle: junge Welt vom 9.9.2009]
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