8
Sep
2009

Der Schwarze Kanal: Krieg auf Vorrat

Von Arnold Schölzel
Es sei Zeit, den Rückzug aus Afghanistan anzutreten, hatte Ulrich Ladurner in der Zeit vom 27. August geschrieben: »Nicht heute, aber in zwei, drei Jahren.« Die Begründung des Zeit-Autoren resultierte aus Einsicht in die Niederlage des Westens und einer Kosten-Nutzen-Bilanz: »Sieben Jahre sind eine lange Zeit, 40 Milliarden Dollar eine Menge Geld, 100.000 Soldaten eine stattliche Armee – das Ergebnis ist zu mickrig.« Ladurner spricht für jenen Teil des deutschen Großbürgertums, dem die betriebswirtschaftlichen Kosten des Krieges zu hoch geworden sind. An den Kriegszielen möchte man allerdings festhalten: »Ein Rückzug der NATO aus Afghanistan bedeutet nicht automatisch die Rückkehr von Taliban und Al-Qaida. Rückzug heißt nicht, daß Afghanistan in den dunklen Keller der Geschichte gestoßen wird. Zivile Helfer werden bleiben und weiter aufbauen, stabilisieren, befrieden. Es werden NATO-Soldaten in ihren Basen bleiben, um Al-Qaida zu schlagen, wenn sie denn ihr Haupt erheben sollten. Es werden naturgemäß die Afghanen bleiben, mit ihren Kriegsherren und mit ihrer Kriegsmüdigkeit.« Bei den Exporteuren von Demokratie und westlichen Werten rangiert die Lage der jeweiligen Bevölkerung am Schluß. Wichtiger als Menschenleben oder gar Leben unter menschlichen Bedingungen sind die permanent stationierten »NATO-Soldaten in ihren Basen«. 2001 hieß es noch zur Kriegsbegründung, die USA seien von Afghanistan angegriffen worden.

Ladurner spricht aber nicht für alle deutschen Global-Strategen. Das bedingungslose Anflanschen an die Weltinnenpolitik der USA und an ihre jedes Völkerrecht auflösende Nationale Sicherheitsdoktrin des »preemptive strike« ist derzeit Linie in Berlin. Der Zeit-Autor tanzt mit seinem Vorschlag, der einen deutschen Vorstoß oder sogar Alleingang voraussetzt, aus der Reihe. Zurückgepfiffen wurde er in der Ausgabe der Zeit vom 3. September durch Herausgeber Josef Joffe. Der erhebt unter dem Titel »Krieg als Vorsorgeprinzip« diese Form des Faustrechts auch noch gleich in den Rang klassischer Norm – die Negation jedes Rechts wird als dessen Weiterentwicklung gepriesen. Unplausibel seien Ladurners Gründe für einen Abzug nicht, räumt Joffe ein, aber: »So einfach ist das Nachdenken über den Krieg im 21. Jahrhundert nicht.« Der Strategieoberlehrer weiß: neue Jahreszahlen – neue Kriege. Die sehen nach ihm völlig anders aus als weiland: »Fast vorbei sind die Zeiten, da deutsche Bomber ein Land wie Polen zu vernichten suchten oder Nordkorea im Süden einfiel. Die Abwehr waren ›Kriege der Notwendigkeit‹, nicht der freien Wahl.« Der militärische Widerstand des Irak seit 2003 resultierte demnach nicht aus Notwendigkeit. Denn die Kriege der Freiheit sind generell solche der Beliebigkeit, haben mit Vernichtung und Massakern nichts zu tun, nur mit Verbreitung von Demokratie und Freiheit. Der »präemptive« Schlag ist daher kein Angriff, eine legitime Verteidigung gibt es nicht. Widerstandsloses Abschlachtenlassen ist erste Weltbürgerpflicht bei Auftauchen der durch westliche Werte legitimierten Militärs. Wer sich wehrt und auch, wer sich nicht wehrt, aber durch eine US-Bombe als Zivilist kollateral getötet wird, wird im Moment seines Ablebens Terrorist. Ist das Völkerrecht erst einmal aufgelöst, ist nicht der Angreifer der Rechtsbrecher, sondern wer ihm dazwischenkommt.

Der Westen begegnet laut Joffe in Afghanistan einer »abstrakten, diffusen und indirekten Bedrohung«. Solche Gefahren mobilisierten aber »zu Recht das Vorsorgeprinzip – wie bei Erderwärmung, Pandemien, die noch keine sind, Ressourcenschwund, Aids.« So sind praktischerweise gleich viele Gründe benannt für die »klassischen« Kriege des 21. Jahrhunderts, die nach Joffe geführt werden, »um Schlimmeres zu verhindern«. Es geht um Demokratie, westliche Werte, Sicherheit und Stabilität auf Vorrat. Was das jeweils zu verhindernde Schlimmere ist, unterliegt der freien Wahl Washingtons, Berlins usw. Die Ladurner und Joffe machen sich anschließend Gedanken über die »Vermittlung« des Krieges.

[Quelle: junge Welt vom 5./6.9.2009 - Wochenendbeilage -]
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